Margaret Heffernan erzählte auf der TEDGlobal 2012 die Geschichte von Alice Stewart, einer britischen Ärztin und Wissenschaftlerin:
Alice Stewart hatte in den frühen 1950er Jahren herausgefunden, dass Röntgenuntersuchungen während der Schwangerschaft das Krebsrisiko für die ungeborenen Kinder massiv erhöht. Sie publizierte erfolgreich ihre Forschung (Lancet 1956) und sogar vom Nobelpreis war die Rede. Dennoch – es dauerte 25 Jahre, bis das medizinische Establishment in Großbritannien und Amerika die Konsequenzen zog und Röntgenuntersuchungen an Schwangeren verbot. Für Alice Stewart waren es 25 Jahre des Kampfes um Menschenleben. Sie hatte dabei eine geniale Unterstützung – die Zusammenarbeit mit dem Statistiker George Kneale. George war das komplette Gegenteil von Alice, sie war empathisch und ging auf Menschen zu, er fühlte sich in der Gesellschaft von Zahlen wohler als in der von Menschen. Auch in ihrer Zusammenarbeit setzten sie auf Unterschiedlichkeit, sein Job war es „to prove Dr. Stewart wrong“. Die beiden hatten eine Form des kooperativen und kreativen Konflikts gefunden, der die Arbeit von Dr. Stewart bereicherte und absicherte.
Margaret Heffernan fragt anlässlich dieser Geschichte zurecht, wie viele von uns sich überhaupt trauen, solche Kooperationspartner zu haben oder zu suchen! Sie sagt, es brauche Überwindung, jene Menschen und Ansichten zu suchen, die unseren eigenen Vorstellungen zuwiderlaufen. Die konstruktive und kreative Auseinandersetzung mit diesen Menschen erfordere Unmengen an Geduld und Energie. Es brauche dafür Zuneigung („love“) – auch und gerade im Zustand von Gegensätzlichkeit – und die Offenheit, die eigene Meinung zu verändern.
Konflikt ist nicht das Gegenteil von Kooperation. Wenn es denn ein Gegenteil von Kooperation gibt, dann beschreibt es die Wiener Mundart als Aufruf zur demonstrativen Gelassenheit: „Net amoi ignorieren!“. Das Nicht-Hinschauen verhindert Kooperation. Das Konfliktvermeiden kann so zum größten Hindernis unserer Kooperation werden.
Konfliktfähigkeit ist eine grundlegende Voraussetzung für Kooperationsfähigkeit. Es gilt, Konflikte annehmen zu können. Unterscheiden zu können, welche Information uns der Konflikt gibt: Sagt er etwas über mich aus oder über meine/n Konfliktpartner? Geht es um den Konfliktinhalt oder um die Beziehung der Konfliktpartner, oder werden hier stellvertretend Konflikte eines größeren Systems (z.B. Unternehmens) ausgetragen? Das Anstrengende dabei ist, dass die meisten äußeren Konflikte ein inneres Abbild in uns haben – daher gehen uns Konflikte nahe und zwingen uns, innere Anteile in Frage zu stellen.
Heffernan schlägt vor, Konflikte als eine besondere Art des Denkens zu verstehen und bewusst zu inszenieren. Bequem ist das nicht, aber richtig.
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