Ein Gastbeitrag von Claudia Conrad:
Wir leben in einer Gesellschaft mit einem immensen Bedarf an Wissen und Expertise. Die reine Informationsgesellschaft, in der es ‚nur’ um die freie Verfügbarmachung von Informationen geht, ist im elektronischen Zeitalter schon lang Realität. Aber wie wird Information in Wissen umgewandelt und nachhaltig vermittelt? Insbesondere an Menschen, die bereits ihren Mann oder ihre Frau im Berufsalltag stehen?
Wissen entsteht nicht, in dem man ein leeres Gefäss füllt. Es ist nicht so, als würde sich vorhandenes Wissen von einem Menschen auf den nächsten übertragen. Schon Sokrates ging davon aus, dass jeder das Wissen in sich trägt. Wissen entsteht wie auf dem Kupferstich von Theodore de Bry gezeigt:
Nach der griechischen Mythologie hatte Zeus Methis verschlungen, da es hiess, das Kind, welches Methis erwartet, würde dem Göttervater den Platz streitig machen. Monate später wird Zeus von starken Kopfschmerzen geplagt. Er bittet seinen Sohn um Hilfe; dieser spaltet seinen Schädel, damit der darin wohnende Dämon entweichen kann. Der Dämon erscheint in Gestalt einer Frau, der Legende nach Pallas Athene, die Göttin der Weisheit. Das Interessante an dieser Darstellung ist, dass sie die erste Kopfgeburt der menschlichen Geschichte zeigt.
Es wurde sinnbildlich eine Idee geboren. Sie entwickelte sich zunächst im Kopf. Die griechischen Philosophen sind davon ausgegangen, dass Ideen, sobald sie formuliert werden, ein Gegenüber brauchen, welches dann überprüft, ob diese Vorstellungen auch lebensfähig sind. Platon nannte dies Begutachtung. Die Begutachtung findet idealerweise durch Fragen und Antworten zwischen den Beteiligten statt. Durch Fragen, nicht durch Belehren des Gesprächspartners, wird die Einsichtsfähigkeit gestärkt. Das, was im Innern herangereift ist, nimmt in der Begutachtung seine ideale Form an, damit es in der Welt Bestand haben kann.
Wie wäre es, die eigenen Ideen ernst zu nehmen, indem man sich einen Gesprächspartner sucht, der diese Ideen mit seinen Fragen reifen lässt, damit sie in der Wirklichkeit bestehen können? Nicht von ungefähr wird das Hervorbringen des eigenen Wissens, das in einem selbst ruht, durch den Begriff der Mäeutik –zu deutsch Hebammenkunst- bezeichnet. Sie können mit sich zufrieden sein, wenn Sie diese (Kopf-)Geburt geleistet haben, insbesondere wenn Sie bereits wochenlang vorher mit Ihren Ideen schwanger gingen. Sich dann einer Befragung zu unterziehen –so wie es die Philosophen der Antike gemacht haben- zeugt von Mut. Der Lohn ist die Einsicht in einen Sachverhalt: Ihr Wissen ist geboren.
Claudia Conrad
www.conrad-consult.ch